Einführung
Die ökologische
Forschung zur Landschaftszerschneidung hat in den letzten zwanzig
Jahren zahlreiche negative Folgen der Zerschneidung für die Umwelt
aufgedeckt, insbesondere für wildlebende Tierpopulationen. Heute
gilt die Landschaftszerschneidung als eine der wichtigsten Ursachen
für den Rückgang und die steigende Gefährdung von
Tierpopulationen sowie für den Verlust von Tierarten, nicht nur in
zahlreichen Industrieländern in Europa, sondern weltweit.
Seit 1985 haben politische
Absichtserklärungen der deutschen Bundesregierung und ihrer
Beratungsgremien wiederholt eine Trendwende in der fortschreitenden
Zerschneidung der Landschaft gefordert. Der Trend einer zunehmenden
Landschaftszerschneidung hat sich jedoch weiterhin nahezu ungebremst
fortgesetzt. Diese Situation verlangt nach wirksameren Instrumenten.
Das Problem der
Landschaftszerschneidung verbindet ökologische Prozesse,
(unvollständige) Wahrnehmung von Auswirkungen der Zerschneidung in
der Gesellschaft, ökonomische Landnutzungsinteressen und ethische
Überlegungen (z.B. Gerechtigkeit gegenüber künftigen
Generationen). Die Zusammenhänge zwischen diesen Aspekten
führt auf eine transdisziplinäre Forschungsfrage:
"Wie können
strukturelle Landschaftsveränderungen und ihre Auswirkungen
hinsichtlich ethischer Prinzipien und hinsichtlich der Werthaltungen
der von den Folgen betroffenen Personen bewertet werden? Unter welchen
Bedingungen lassen sich Entscheidungen über Landschaftseingriffe
verantworten?"
Landschaftszerschneidung
ist ein steigendes Problem. Um Lösungen zu finden, müssen
Antworten auf die folgenden sechs Fragen gefunden werden:
- Was ist
"Landschaftszerschneidung", und durch welche Kriterien und
Messgrössen kann der Zerschneidungsgrad genauer gekennzeichnet und
quantitativ gemessen werden?
- Mit welchen Kriterien
können landschaftszerschneidende Eingriffe und verschiedene
Zerschneidungsmuster bewertet werden?
- Welche Massnahmen sind
dafür geeignet (und welche sind am wirkungsvollsten), um die
umweltschädlichen Auswirkungen von Verkehrslinien und
Siedlungsflächen zu reduzieren?
- Unter welchen Bedingungen
können Entscheidungsträger ihre Verantwortung für
landschaftszerschneidende Eingriffe und ihre Auswirkungen wirksam
wahrnehmen?
- Welche Konsequenzen
für die Wahl eines geeigneten Bewertungskonzeptes haben die hohe
Komplexität von ökologischen Zusammenhängen und die
Schwierigkeiten bei der Vorhersage von ökologischen Auswirkungen ?
- Wie können
überprüfbare Ziele für den künftigen Grad der
Landschaftszerschneidung entwickelt und umgesetzt werden?
Die Wahrnehmungs- und
Bewertungsmuster der Beteiligten am Entscheidungsprozess, z.B. von
Experten aus der Verkehrsplanung, aus dem Naturschutz und der
Landschaftsplanung, können in qualitativen Experteninterviews
untersucht werden. Es ist die Realität der Sichtweisen von
Entscheidungsträgern und ihrer Urteilsfindung, die bestimmt,
welche Landschaftseingriffe in der Zukunft stattfinden werden und wie
groß der Zerschneidungsgrad sein wird.
Das Wissen über die
Auswirkungen von Landschaftseingriffen ist auch heute noch immer sehr
lückenhaft und hat daher relativ geringe Vorhersagekraft. Der
verantwortungsvolle Umgang mit diesen Wissenslücken stellt
große ungelöste Probleme. In den meisten Fällen besteht
in der Entscheidungsfindung ein "Zirkel der Immunisierung"
gegenüber den potenziellen, unsicheren ökologischen
Auswirkungen (der "Zerschneidungszirkel"). Dieser Immunisierungszirkel
stabilisiert den Prozess der fortschreitenden Landschaftszerschneidung,
indem die Unsicherheiten, die in Umweltverträglichkeitsstudien
nicht routinemäßig aufgeklärt werden können, aus
der Abwägung über den geplanten Eingriff systematisch
ausgeklammert werden (z.B. Auswirkungen auf die genetische Struktur von
Populationen und auf die Metapopulationsdynamik oder kumulative
Wirkungen). Daher haben diese Unsicherheiten keine verzögernde
Wirkung auf den Prozess der steigenden Landschaftszerschneidung. Zudem
besteht in aller Regel keinerlei Verpflichtung, das Eintreten von
ökologischen Schäden zu überwachen und nachträglich
entdeckte Schäden zu beheben, wie z.B. den Verlust einer Art als
Folge einer neuen Straße.
Als eine Antwort auf die
ökologische Überkomplexität (und die daraus
resultierenden "Tantalusprobleme") schlägt das Konzept der
Umweltgefährdung vor, geeignete Eigenschaften
von Umwelteingriffen als zusätzliche Bewertungskriterien zu
verwenden, neben den schwer vorhersagbaren Auswirkungen. Beispiele
für solche Kriterien sind die räumliche und zeitliche
Reichweite (Persistenz) von Umweltchemikalien.
Geeignete Kriterien zur
Bewertung von Landschaftseingriffen können geometrisch-strukturell
oder funktional sein, z.B. der Grad der Landschaftszerschneidung und
die Verringerung der Landschaftskonnektivität (Vernetzungsgrad der
Landschaft). Landschaftskonnektivität ist definiert als der Grad,
zu dem die Landschaftsstruktur die Fortbewegung von Tieren in der
Landschaft erleichtert bzw. behindert. Das quantitative Landschaftsmass
der "effektiven Maschenweite" (meff) kann dann beispielsweise
dafür eingesetzt werden, um neue landschaftszerschneidende
Eingriffe und die Beseitigung von existierenden Barrieren zu
bilanzieren - insbesondere in Umweltverträglichkeitsstudien auf
regionaler Planungsebene. Außerdem ist meff dafür geeignet,
um Ziele für die Landschaftsqualität
(Umweltqualitätsziele) zu formulieren und Grenz-, Richt- oder
Zielwerte für die Begrenzung der Landschaftszerschneidung zu
entwickeln, als ein Beitrag zur lange geforderten Trendwende.
Literatur:
Jaeger, J. (2001):
Landschaftszerschneidung und -zersiedelung: Bedarf nach neuen
Bewertungsverfahren und der Beitrag der ökologischen Modellierung.
- Zeitschrift für angewandte Umweltforschung (ZAU) 14(1-4):
247-267. (PDF)
Jaeger, J. (2002):
Landschaftszerschneidung. Eine transdisziplinäre Studie
gemäß dem Konzept der Umweltgefährdung. Verlag Eugen
Ulmer,Stuttgart. 447 S.
Roedenbeck, I.A.,Jaeger,
J. (Hrsg.) (2006): Straßenökologie. Themenheft der
Zeitschrift "Naturschutz und Landschaftsplanung", Heft 38(10-11):
293-356...... (PDF
des
Editorials)
Jaeger, J., Grau, S.,
Haber, W. (Hrsg.) (2005): Landschaftszerschneidung. Themenheft der
Zeitschrift "GAIA", Heft 14(2): 98-185.............. (PDF
Editorial;
PDF
Einführungstext)
Ausführliche
Fassung
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